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Ungeziefer im Wohnmobil

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Ein Sachmangel gemäß § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt bei einem Wohnmobil mit Ungezieferbefall dann vor, wenn das Ungeziefer die Substanz der Sache angreift oder die Gefahr des vollständigen Verlusts der Gebrauchsfähigkeit besteht.

So das Landgericht Freiburg in dem hier vorliegenden Fall eines Klägers, dessen erworbenes Wohnmobil von Ratten befallen war und der deshalb die Rückabwicklung des Kaufvertrages über das Wohnmobil verlangte. Nachdem das Wohnmobil an den Käufer übergeben worden war, zeigten sich schon auf der Fahrt zum Wohnsitz des Klägers Fehlermeldungen der Fahrzeugelektronik. Zwei Tage später stellte der Kläger fest, dass das Fahrzeug von Ratten befallen war: Die luftdicht verpackten Lebensmittel im Küchenschrank des Wohnmobils waren angenagt und im Küchenschrank lag Kot. Einige Tage später traten Kot- und Urinspuren und Beschädigungen an Vorhang und Sitzpolstern auf. Nachdem der Kläger diese Beschädigungen gegenüber der Beklagten zunächst selbst per E-Mail gerügt, die Beklagte eine Beseitigung jedoch nur gegen Entgelt angeboten hatte, wurde durch den Rechtsanwalt des Klägers eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt und später der Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Es wurde Klage erhoben auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Wohnmobils Fiat Ducato Multijet 180/Sun Ti 700 L EG.

Nach Auffassung des Landgerichts Freiburg ist die Kaufsache mit einem Sachmangel behaftet, weil sie bei Gefahrübergang nicht die vereinbarte Beschaffenheit hatte, § 434 Abs. 1 S. 1 BGB.

Beschaffenheit ist mit dem tatsächlichen Zustand der Sache gleichzusetzen. Sie umfasst jedenfalls auch diejenigen tatsächlichen wirtschaftlichen und rechtlichen Bezüge, die ihren Grund im tatsächlichen Zustand der Sache selbst haben und ihr für eine gewisse Dauer anhaften. Sie kann auch konkludent vereinbart werden. Der Befall mit Ungeziefer stellt jedenfalls dann einen solchen Sachmangel dar, wenn das Ungeziefer die Substanz der Sache angreift oder die Gefahr des vollständigen Verlusts der Gebrauchsfähigkeit besteht. Dies ist hier der Fall. Gerade wenn wichtige Teile der Fahrzeugelektronik oder Kabel angenagt werden, besteht die Gefahr, dass das Fahrzeug nicht weiterbenutzt werden kann. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten vorgelegten Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart. Dort stützt das Oberlandesgericht seine Entscheidung gerade darauf, dass die Bausubstanz eines Gebäudes durch den Befall mit Schaben nicht angegriffen und die Gebrauchsfähigkeit nur in einem beschränkten Umfang und nicht auf Dauer beeinträchtigt war. Dass es sich vorliegend nicht bloß um eine solche unerhebliche Beeinträchtigung handelt, belegt schon der eigene Vortrag der Beklagten, demzufolge durch den Rattenbefall ein Wertverlust von 50.000 EUR eingetreten sein soll bei einem Kaufpreis von 72.500 EUR.

Der Sachmangel lag auch bei Gefahrübergang vor. Das wird nach § 476 BGB vermutet. Die Beklagte hat zum ihr obliegenden Nachweis des Gegenteils keinen tauglichen Beweis angeboten. Sie hat zwar vorgetragen und Beweis durch Zeugen (Mitarbeiter) und Sachverständige dafür angeboten, dass das Fahrzeug nicht bei ihr befallen worden sein konnte. Es sei seit 25.11.2012 bis 16.12.2012 verschlossen und zum Einbau von Zusatzeinrichtung in der Halle gewesen. In diesem Zeitraum sei dem Zeugen S nichts aufgefallen. Weiter sei das Fahrzeug vor der Übergabe noch einmal gründlich durchgesehen worden. Selbst bei Wahrunterstellung dieses Vortrags wäre das Gericht aber nicht mit einem praktisch brauchbaren Maß an Gewissheit (§ 286 ZPO) davon überzeugt, dass die Ratten erst später, also nach Übergabe, in das Wohnmobil gelangt sind.

Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach ein Eindringen der Ratten bei dem Kläger als Käufer wahrscheinlicher war als bei der Beklagten. Selbst wenn das Wohnmobil bei der Beklagten in einer geschlossenen Halle, bei dem Kläger jedoch draußen stand, erhöht dies eine Wahrscheinlichkeit des Eindringens bei dem Kläger nicht in streitentscheidendem Maße. Auch in einer Halle können sich zeitweise Ratten aufhalten und in das Fahrzeug gelangen. Erfahrungsgemäß stehen solche Hallen tagsüber, wenn Geschäfts- und Arbeitsbetrieb herrscht, auch gelegentlich offen. Die Türen des Wohnmobils müssen ebenfalls zumindest zeitweise geöffnet gewesen sein, damit die Mitarbeiter der Beklagten die vorgetragenen Arbeiten und Kontrollen durchführen können. Damit können die Ratten ohne weiteres eingedrungen sein, ohne dass es auf die Frage ankäme, ob sie sich von unten durch Öffnungen im Fahrzeugboden ins Fahrzeug hinein vorarbeiten konnten.

Der Rattenbefall ist nach dem bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung unstreitigen Parteivortrag erstmals am 18.12.2011 durch die Zeugin L festgestellt worden; weiter sind unstreitig bereits auf der Fahrt von der Beklagten zum Kläger am 16.12. und auch am 17.12.2011 Störungen an der Fahrzeugelektronik aufgetreten, die ihre Ursache in angenagten Kabeln haben können. Die Beklagte hat einen Nagetierbefall am 18.12.2011 erstmals nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 23.11.2012 bestritten; zuvor hatte sie lediglich bestritten, dass der Kläger den Befall am 18.12.2011 angezeigt habe. Der neue Vortrag ist daher unbeachtlich. Das Gericht wäre jedoch auch bei Beachtlichkeit bereits aufgrund der vorgelegten Rechnungen über Rattenfallen vom 19.12.2011 davon überzeugt, dass – wie vom Kläger behauptet – am 18.12.2011 Rattenbefall aufgetreten war. Mit dem Nachweis eines späteren Zeitpunkts der Mängelanzeige ist entgegen der Auffassung der Beklagten der Gegenbeweis nicht zu führen. Es existiert kein allgemeiner Erfahrungssatz – wie die Beklagte meint -, wonach ein Käufer einen Mangel sofort nach Auftreten und nicht erst einige Wochen später rügt. Selbst wenn die Rüge erstmals am 5.1.2012 erfolgte, kann dies zahllose Gründe haben, etwa den Jahreswechsel oder die Einschätzung des Käufers, den Befall durch eigenes Handeln (Fallen, Gift etc.) schneller und einfacher selbst in den Griff zu bekommen.

Die durch die Beklagte angebotenen Zeugen sind zum Nachweis der behaupteten Tatsachen nicht geeignet. Das Gericht wäre nur dann davon überzeugt, dass ein Nagetierbefall nicht bereits bei Gefahrübergang gegeben war, wenn die Beklagte vorgetragen und unter Beweis gestellt hätte, dass ein Zeuge das Wohnmobil über Tage und Nächte hinweg direkt bis zur Übergabe ununterbrochen von allen Seiten überwacht hat, oder dass direkt, also Minuten vor der Übergabe, eine lückenlose Kontrolle sämtlicher Hohl- oder Zwischenräume des Wohnmobils stattgefunden hat. Beides hat die Beklagte nicht behauptet. Das Gericht sieht dagegen schlechterdings keine Möglichkeit, mit Zeugen den Nachweis für einen Nichtbefall mit Nagetieren zu führen, wenn lediglich behauptet wird, dass das Fahrzeug in einer Halle stand, regelmäßig beobachtet und vor der Übergabe nochmals kontrolliert wurde. Dies gilt zumindest dann, wenn – wie vorliegend – die Ratten erstmals zwei Tage nach Übergabe festgestellt wurden.

Die unter Sachverständigenbeweis gestellten Behauptungen sind nicht streitentscheidend:

Auf die Frage, ob sich Ratten drei Wochen ohne Spuren in einem Wohnmobil aufhalten, kommt es nicht an, weil das Gericht davon ausgeht, dass ein Rattenbefall bereits am 18.12.2011 offenbar wurde und dass bereits wenige Tage ausreichen, um einen Befall vor Gefahrübergang anzunehmen.

Ebensowenig kommt es darauf an, ob die Tiere durch Öffnungen im Boden in das Wohnmobil gelangten. Die Ratten können genauso durch eine geöffnete Tür eingedrungen sein, so wie dies laut der Beklagten auch bei dem Kläger der Fall gewesen sein soll. Dass die Türen durchgehend verschlossen waren, also auch während der Kontrollen und sonstigen Arbeiten bei der Beklagten, hat sie selbst nicht behauptet.

Soweit vorgebracht wurde, dass die Bissspuren am Wohnmobil eher auf einen Befall von innen als von außen her hindeuteten, widerlegt dies nicht die Möglichkeit, dass die Tiere durch eine geöffnete Tür bei der Beklagten eingedrungen sind.

Auf weitere Mängel kommt es nicht an.

Nach alldem konnte sich das Gericht nicht die Überzeugung verschaffen, dass die Ratten nicht bereits bei Gefahrübergang in dem Fahrzeug waren. Nach der Beweislastregel des § 476 BGB hat die Folgen der Unaufklärbarkeit die Beklagte zu tragen.

Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 12.1.2012 wurde der Beklagten Frist zur Nacherfüllung bis 20.1.2012 gesetzt.

Der Mangel war auch nicht unerheblich im Sinne von § 323 Abs. 5 S. 2 BGB. Für die Frage der Erheblichkeit ist auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt im April 2012 war das Wohnmobil in so großem Ausmaß durch Nagetiere beschädigt, dass ein durchschnittlicher Käufer vom Kauf Abstand genommen hätte. Letztlich hat das auch die Beklagte nicht ernsthaft in Frage gestellt, da sie einen Wertverlust von 50.000 EUR bei einem Kaufpreis von 75.000 EUR behauptet.

Der Rücktritt wurde mit Rücktrittserklärung vom 20.4.2012 wirksam, und die gewährten Leistungen sind gemäß § 346 BGB zurückzugewähren. Der Kläger kann von der Beklagten gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 72.500 EUR verlangen. Die geschuldete Rückgabe des Wohnmobils hat er Zug um Zug gegen die begehrten Zahlungen angeboten.

Die Beklagte kann von dem Kläger Zahlung von 1.000 EUR Wertminderung für einen Verkehrsunfall verlangen, § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB. Diese Position hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 22.11.2012 unstreitig gestellt.

Weiter schuldet der Kläger für unstreitig gefahrene 1.850 km 670,63 EUR als Nutzungsersatz, § 346 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Soweit die Beklagte darüber hinaus Gebrauchsvorteile geltend macht, nämlich für insgesamt 3.500 km, hat sie keinen Beweis angeboten. Nach der Berechnungsmethode der Beklagten, die von dem Kläger nicht angegriffen wurde, kann die Beklagte 1.850 km x 72.500 EUR ./. 200.000 km = 670,63 EUR verlangen.

Weitere Zahlungen kann die Beklagte nicht verlangen. Insbesondere steht ihr ein Anspruch auf Wertersatz in Höhe der begehrten 50.000 EUR nicht zu, weil die Pflicht zum Wertersatz gemäß § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB entfallen ist. Nach der nicht widerlegten Vermutung des § 476 BGB hat die Beklagte die Verschlechterung zu vertreten; zumindest wäre die Verschlechterung auch bei ihr eingetreten.

Die gegenseitigen Zahlungen können nicht, wie bei der Geltendmachung von Schadensersatz, verrechnet oder saldiert werden, sondern stehen sich gemäß §§ 346, 348 BGB selbstständig gegenüber. Sie könnten zwar aufgerechnet werden, da sie gleichartig sind. Eine Aufrechnung hat aber keine der Parteien erklärt.

Landgericht Freiburg, Urteil vom 10. Dezember 2012 – 6 O 277/12


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